Jacques Brel gilt als einer der größten und bedeutendsten Interpreten des französischsprachigen Chansons. Seine Geschichten erzählen von Alter, Liebe und Tod – dem Abschied in dem auch immer ein Neubeginn innewohnt.
Und Benjamin Vanyek – der muss, darf, soll, will einfach singen und gastiert deshalb mit seinem Brel Abend nach zweijähriger Pause im Bronski & Grünberg.
Brels direkte, poetische Sprache fesselt das Publikum unmittelbar. In den wunderbaren deutschen Fassungen von Werner Schneyder scheinen Brels Chansons noch intensiver und machen Räume zur eigenen Interpretation auf.
Auf einer phantastischen Reise, nähert sich Vanyek – der „Wiener Brel“ – diesem großen Werk unverschämt und sensibel. Musikalisch begleitet wird er von Alexander Jost am Klavier, von Nikolaus Messner am Cello und von Thomas Toppler am Schlagzeug.
Warum, fragen sie? Warum nicht, fragen wir! Vanyek MUSS singen. Ein Naturgesetz! Quasi. Ob er singen muss, weil es ihm schlicht und einfach in die Wiege gelegt wurde, oder ob es seine Mutter ihm vorschreibt, weil sie über die Jahre sage und schreibe 352 Euro in seine musikalische Bildung gesteckt hat, oder weil ihn das Bronski & Grünberg Theater mit allen Mitteln dazu zwingt… Fakt ist: er MUSS und er WIRD.
Begleitet von seinem Orchester (Klavier – Alexander Jost, Cello – Nikolaus Messner, Schlagzeug – Andreas Dauböck) und in einem bronskiesque spektakulären Stage-Design im Stile der 60er Jahre (Alina Helal), gibt Vanyek seine ikonischen, ironischen und poetischen Interpretationen von Liedern wie, Nancy Sinatra’s „Die Stiefel sind zum Wandern“, Shirley Bassey‘s „Diamanten sind für immer“, bis Aretha Franklin‘s „Ich wünsche mir so viel von dir“.
Die Pandemie hat auch die Mitglieder des aktionstheater ensemble auf sich selbst zurückgeworfen. Was am Ende bleibt, sindpersönliche Bestandsaufnahmen. In einem sprachlichen und physischen Parforceritt werden Angst-Themen, seien sie nun privater oder gesellschaftspolitischer Natur, manisch durchdekliniert. Jedoch das Nachdenken über Femizide, drohende Umweltkatastrophen, Wiederanstieg von Antisemitismus oder die eigene soziale Abstiegsangst gerät zum narzisstischen Seelenstriptease.
Umringt von Musiker*innen werden die Schauspieler*innen einzeln und nacheinander in die Mitte geworfen. Einsam sprechen sie davon, wie gut sie doch in ihren Singlewohnungen zurechtkommen. „Erst jetzt ist mir bewusst geworden, wie gut ich, trotz aller Wirrnisse, mit mir alleine klarkomme“, meint die eine. Sie feilt, wie alle anderen auch, an der Optimierung ihrer Solo-Karriere. Ein anderer, verlassen von seiner Partnerin und vorerst gescheitert an seinen profeministischen Idealen, arbeitet an einem funktionierenden Lebenskonzept … Jegliche Selbstbeteuerungen wollen aber nicht so recht gelingen.
Verzweifelt versuchen die Protagonist*innen in den beiden Teilen dieses Diptychons von Martin Gruber und seinem preisgekrönten aktionstheater ensemble gegen die Melancholie der einsamen Balladen anzukämpfen. Die Sprache versagt. Was an Hoffnung bleibt, mag hinter den Balladen verborgen sein.
Regie: Martin Gruber
Mit: Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Tamara Stern, Benjamin Vanyek und Nadine Abado, Andreas Dauböck, Simon Gramberger, Kristian Musser, Joachim Rigler, Simon Scharinger